Skalen üben auf der Shamisen – aber richtig!

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Für wen macht das Skalen Üben auf der Shamisen Sinn? Über die Sinnhaftigkeit von Skalen in der Übungsroutine und warum die Vorhersehbarkeit von Skalen ein Segen ist.
Skalen sind ein kontroverses Thema – die einen schwören auf sie, die anderen reagieren geradezu allergisch auf den Gedanken, Skalen zu üben. In der westlichen klassischen Musikausbildung gehören Skalen zum Standardprogramm und bilden für viele Schüler einen unumstößlichen Grundpfeiler – dessen Berücksichtigung oft vom Lehrer forciert wird. In Japan gehört das Skalen Üben auf der Shamisen nicht zum Standard-Unterricht dazu. Ich selber habe auf der Shamisen auch nicht von Anfang an Skalen in meine Routine eingebaut, sondern sie haben sich auf ganz natürliche Weise in mein Herz geschlichen als zuverlässige, nützliche Helfer. Deshalb plädiere ich dazu, es einfach mal auszuprobieren, ganz spielerisch, mit Genuss. Alles kann, nichts muss.

Skala – Begriffsklärung

Der Begriff Skala kommt in verschiedenen Kontexten vor und bezeichnet entweder eine tatsächliche Maßeinteilung an einem Messinstrument oder eine geordnete Reihe von Ausprägungen eines bestimmten Phänomens (etwa eine Skala von Helligkeitsstufen). Im Alltag wird der Begriff auch gerne gebraucht: „Wie bewerten Sie den Kundenservice auf einer Skala von 0-5?“ Wie viele Abstufungen die Skala genau hat und in welchen Abständen die Stufen voneinander sind, ist dann variabel je nach Kontext und Anwendungsfall. Es gibt einen Ausgangspunkt, von dem man sich schrittweise entfernt. In der Musik ist der Ausgangspunkt ein bestimmter Ton, also eine bestimmte Tonstufe. Beispielsweise ein „C“. Auf der Shamisen ist das dann in der Stimmung C-G-C die leere dicke oder die leere dünne Saite. Die Skala in der Musik bewegt sich im Rahmen einer Oktave. Das wäre beispielsweise von der dicken Saite C bis zur dünnen Saite C, oder von der leeren dünnen Saite C bis zur Position 10 auf der dünnen Saite (wieder C). Alles, was zwischen diesen beiden Punkten liegt, wird nun in Stufen unterteilt. Diese Stufen müssen nicht gleich groß sein, und auch die Anzahl der Stufen ist variabel. Wer einen Fujakustrip am Hals seines Instruments angebracht hat, kann daran die allgemein üblichen Punkte ablesen, die innerhalb einer Skala benutzt werden können. Von der leeren Saite bis zur Position 10 sind elf Punkte markiert. Wenn man jeden einzelne Position nacheinander abgreift und spielt, sind alle Positionen gleich weit voneinander entfernt, nämlich einen so genannten Halbtonschritt. Das lässt sich am Klavier rekonstruieren, wenn man von links nach rechts zwischen C und dem nächsten C alle Tasten, inklusive der schwarzen Tasten, nacheinander anschlägt. Mit dieser chromatischen Skala sind alle Töne innerhalb einer Oktave abgedeckt, die in konventionellen Stücken gespielt werden.

Gut zu wissen: Zwischen den markierten Tonabständen liegen auf Instrumenten wie der Shamisen, bei denen man nahtlos von einer Tonhöhe in den nächsten gleiten kann, dann die so genannten Mikrointervalle. In der westlichen und westlich geprägten Musik bildet die chromatische Skala das Fundament aller Skalen. In anderen Musikkulturen und in modernen westlichen Kompositionen bedient man sich eines weiteren Tonvorrats, indem auch Mikrointervalle genutzt werden.

Innerhalb einer Oktave und beruhend auf diesen 11 Positionen wird nun üblicherweise eine handvoll Positionen ausgesucht, um einen bestimmten Tonvorrat festzulegen, den man für ein Stück benutzen will. Ein anderer Begriff für Skala im musikalischen Sinn ist „Tonleiter“. Mit dem Begriff fühlt man sich gleich viel vertrauter, auch wenn er den einen oder anderen dazu verführen mag, gleich an die in der westlichen Musik übliche Dur- und Moll-Tonleiter mit 7 Stufen zu denken. Die Anzahl und der Abstand der Stufen ist aber ganz variabel. So, wie sich in der westlichen Musik Dur- und Moll-Tonleiter als besonders dominant durchgesetzt haben (einfach mal „Kirchentonarten“ nachschlagen), haben sich in der japanischen Musik ebenfalls bestimmte Abfolgen durchgesetzt. Die japanischen Skalen beruhen auf fünf Tönen und sind damit so genannte „pentatonische“ (penta: altgriech.: fünf, = fünftönige) Tonleiter. Die Skala legt den Tonvorrat eines Stückes fest. Das kann man sich vorstellen wie Bausteine oder Zutaten: Je nachdem, wie man sie kombiniert, kann man daraus unzählige unterschiedliche Dinge kreieren.

Der Nutzen von Skalentraining

Wer von seinem Lehrer genötigt wird, Skalen zu spielen, tut dies oft ohne Elan, ohne Konzentration – und zieht dann sehr viel weniger Nutzen daraus. Ich bin ein großer Freund von Skalen und nutze sie als Grundlage, um meinen Fokus auf bestimmte Aspekte zu lenken. Ich nutze Skalen, um Komplexität zu reduzieren, Vorhersehbarkeit zu schaffen und damit den Kopf zu entlasten. Das findet bei mir besonders für zwei Dinge Anwendung:
    1. um die Intonation zu verfeinern, also die Präzision der Tonhöhen
    2. um linke und rechte Hand auf harmlose Weise miteinander anzufreunden.

Skalen und Intonation

Wenn man eine Skala in Teilen oder im Ganzen langsam rauf und runter übt, kann man sich gut darauf konzentrieren, genau hinzuhören, wie der einzelne Ton klingt, den man greift. Neben dem Fokus auf die Tonhöhe im Verhältnis zu anderen Positionen auf der Skala bietet die Reduktion auf dieses einfache Grundgerüst auch Raum, einmal besonders auf die Klangqualität der abgegriffenen Positionen zu achten. Wie weich oder hart klingt der Ton. Klingt er klar oder matt? Was ändert sich, wenn ich den Finger anders aufsetze? Wenn man direkt in einem Lied steckt, hat man normalerweise noch viele andere Dinge, an die man zeitgleich denkt. Das Ohr hat dann vielleicht nicht genug Kapazität, sich auf die Präzision der Tonhöhe zu konzentrieren. Ob man auf die Sauberkeit der Töne wert legt oder nicht, ist jedem selbst überlassen. Unumstößlicher Fakt ist aber, dass das Instrument voller und satter klingt, wenn die Positionen präzise getroffen werden. Der Ton blüht auf und fängt an zu strahlen. Die Musik, die man sich selbst vorspielt, wird noch schöner. Wenn in einem Stück der eine oder andere Ton dann im Eifer des Gefechts daneben geht, gehört das absolut dazu und schmälert die Schönheit eines seelenvollen Vortrags nicht. Aber ein besseres Gefühl dafür zu haben, wie der Ton besonders klar klingt und wie die Hand den Ton zuverlässig so ansteuert, kann man u.a. mit Skalentraining gezielt verfeinern. Das wichtigste ist immer, dass man Spaß hat und genießt, was man tut. Wem Skalen dabei helfen, sein Instrument besser kennenzulernen, der möge sich an Skalen erfreuen. Wer Skalen nur als zeitfressende Pflicht empfindet, sollte sich Wege suchen, die sich besser anfühlen und Skalen beiseite legen.

Anfängerbeispiel aus der Praxis

Meiner Erfahrung nach ist die rechte Hand die schwierigere. Zu Beginn einer Übungseinheit rate ich deshalb immer dazu, erst die leeren Saiten mit dem Bachi zu schlagen, damit die Hand sich erinnert, wie bequem und sorgenfrei der lockere Grundschlag sich anfühlt. Wenn die sich dann gut anfühlt, kommt zur Ablenkung die andere Hand dazu. Die greift dann irgendeine Position. Drücken, loslassen, drücken, losslassen. Bleibt das Bachi weiterhin entspannt? Dann kann es weitergehen. Die Aktivität in der greifenden Hand kann jetzt langsam und schrittweise gesteigert werden. Also entweder einen weiteren Finger einsetzen, oder mit dem gleichen Finger die Position wechseln. Sobald mehr als eine Position involviert ist, kann man schön auf Skalen zurückgreifen. Dann muss man sich nicht selber Positionen ausdenken und übt auch noch etwas, was einen in Liedern was bringt. Vorhersehbarkeit, Reduktion, Wiederholung. Diese drei Aspekte machen Skalen zu einem so großartigen Werkzeug.

Fortgeschrittenenbeispiel aus der Praxis

Wenn die Bachi-Hand beispielsweise in einem neuen Lied über ein neues Schlagpattern gestolpert ist und man dieses Schlagpattern einüben möchte, macht es mehr Spaß, dieses Pattern nicht nur im Stück an der expliziten Stelle unzählige Male zu wiederholen, sondern das Pattern zu isolieren und auf verschiedenen Tönen der Skala auszuprobieren. Das ist nicht nur für die Ohren interessanter, sondern steigert auch das Feingefühl in den Händen, da sich die gleiche Technik auf unterschiedlichen Positionen durch die unterschiedliche Spannung der Saiten anders anfühlt. In diesem Fall würde ich das Pattern zuerst ohne die greifende Hand spielen, also auf leeren Saiten. Und dann mit einer abgegriffenen Position. Und wenn das gut läuft, die Position wechseln. Wenn das Pattern zusammenbricht, einen Schritt zurückgehen und mit leeren Saiten beginnen. Besteht das Pattern aus mehreren Positionen, fange ich trotzdem erst mit leeren Saiten und nehme dann erstmal nur eine Position hinzu, bevor ich mich dann langsam voranarbeiten.

Wer auf der Suche nach mehr Inspiration zum systematischen Techniktraining mit Skalen ist, wird auf Patreon fündig, wo ich immer wieder frische Drills auf Basis von Skalen vorstelle: patreon.com/shamisenzentrale

Stücke verbessern mit Skalentraining

Zu wissen, auf welcher Skala das Stück beruht, also welche Töne vorkommen, finde ich praktisch, weil man dann ganz bewusst und gezielt die anderen Positionen außer Acht lassen kann. Die unbegrenzten Möglichkeiten auf dem langen Hals der Shamisen werden dadurch drastisch reduziert und der Kopf erheblich entlastet. Die Finger wissen, dass für dieses Stück nur eine bestimmte Anzahl von Positionen angefordert wird. Bei modernen Stücken wird auch gerne mal etwas unerwartetes dazwischengeworfen, was nicht in die Skala „passt“ (eine Geheimzutat sozusagen), aber wenn ihr Volkslieder oder klassisches Repertoire spielt, wird es keine Überraschungen geben. Um ein Stück dann ohne viel Sucherei zu spielen, ist es nicht notwendig aber sehr praktisch, sich ganz gezielt die einzelnen Positionen anzuschauen und anzuhören. Das Ohr wird dadurch trainiert, nicht nur die Sauberkeit eines Tons genauer zu beurteilen, sondern sich auch den Klang der Abstände zwischen den verschiedenen Positionen zu merken. Die Hand wird daran gewöhnt, wie es sich anfühlt von der einen Position zur nächsten zu kommen. Die Finger bekommen ein besseres Gefühl dafür, wie genau sie die Saite runterdrücken müssen, damit der Ton wirklich schön klingt. Wenn man ein neues Stück lernt, das in der gleichen Skala geschrieben ist, also aus den gleichen Tönen zusammengesetzt ist, wie ein Stück, das man bereits kennt, wird es einem besonders leicht fallen, das Stück zu lernen, weil die Finger sich bereits mit den Positionen angefreundet haben und wissen, wo sie hin müssen und wie welche Position klingt. Um diesen Lerneffekt zu haben, ist es nicht notwendig, separat Skalen zu üben. Das wird praktischerweise automatisch in den Händen abgespeichert.

Spätestens, wenn man anfängt, kleine Soli in ein Lied zu werfen oder eigene Variationen von Stücken zu kreieren, wird einem – wenn vielleicht auch nur unbewusst – die Skala wieder über den Weg laufen. Denn das sind dann die Töne, mit denen man auf der sicheren Seite ist. Einige Spieler finden sich intuitiv zurecht und finden schnell durch Ausprobieren heraus, welche Töne sie benutzen können. Andere haben lieber ein strukturiertes Gerüst, auf das sie sich berufen können. Eine spielerische, lockere Herangehensweise mit gut gespitzten Ohren und ein bisschen Vertrauen in das eigene Bauchgefühl sind ein besonders entspannter Ansatz. Aber nicht jeder fühlt sich damit wohl. Wenn man sich die Skala auf ein Blatt Papier schreibt, kann einem das ein gutes Gefühl von Sicherheit geben und Ruhe ins Experimentieren bringen.

Wer einen Überblick über die für Shamisen-Musik gängigen Skalen sucht, wird auf Patreon fündig. Dort stelle ich auch immer wieder neue nützliche Technik-Übungen vor, die ich auf Basis unterschiedlicher Skalen baue.

Hier das Video zum Artikel ansehen:

Schaut euch als Ergänzung gerne das Video auf dem YouTube Kanal der Shamisen-Zentrale an!

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